Der Zeichner Ambroise Fridelance ist zuverlässig, schüchtern und kleinmütig. Er lebt so dahin zwischen einer querschnittsgelähmten Frau, die ihm das Leben schwer macht, und einem gewissenlosen Verleger, der ihn für seine Buch-Illustrationen mehr als knauserig bezahlt. Ambroise hofft aus dieser Misere herauszukommen, indem er einen alten Hocker aus Familienbesitz verkauft, bei dem es sich um ein kostbares afrikanisches Design-Objekt handelt. Ambroise träumt von Reichtum, Glück und Rache... Als er merkt, dass er bei dem Geschäft hereingelegt werden soll, offenbart Ambroise ungeahnte Reserven von Wut und Aggressionen...
Verfilmt von Claire Devers.
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Das Tamtam der Angst
«Entschuldigung. (Husten.)... Sie wollen meine Meinung bezüglich Ambroise Fridelance? Was ich wirklich denke?...»
Serge Demare hält inne, bückt sich, um ein Arzneitütchen zu öffnen, öffnet es, schüttet das aufsprudelnde Pulver in ein großes Wasserglas.
«... Ein armes Schwein. Ein armer Schlucker. Der ewige Verlierer. Nicht einmal ein Künstler, trotz seiner Ambitionen...» (Er hustet, ein schwerer Hustenanfall, als würde er sich die Kehle aus dem Leib husten. Wieder zu Atem kommend:) «Ansonsten ein netter Bursche, ernsthaft, fleißig, ergeben. Aber nicht vom Leben verwöhnt, also das, nein, Mensch!...» (Er lacht, was einen neuen Hustenanfall auslöst.) ... «Aah... Entschuldigen Sie, Inspecteur. Aber manche Leute sind halt so...»
Serge Demare rührt die Mixtur mit einem Löffel um, nimmt einen Schluck von dem Mittel, verzieht das Gesicht, seufzt, stellt das Glas immer noch hustend wieder auf das Tablett neben dem Sessel.
Polizeioffizier Koster, der ihm gegenüber sitzt, wartet schweigend, sein Notizbuch in der Hand.
«... Und seine Frau erst! Er muss die Hölle mit ihr durchgemacht haben!» (Er hustet.) «Sich ständig total für diese Nervensäge aufreiben, die Besorgungen, das Essen, der Haushalt! Behindert, wie sie seit ihrem Unfall ist, diese Régine Fridelance... Ah, sie hat ihn dafür büßen lassen, dass er diese rote Ampel überfahren hat...» (Er lacht hämisch: aus dem hämischen Lachen wird ein Husten...) «Und... und... kaum hatte er mein Büro betreten, klingelte immer das Handy: das war natürlich sie... um ihn um irgendetwas Idiotisches zu bitten oder zu kontrollieren, ob er auch wirklich hier war, im Begriff, mir meine Illustration abzuliefern, und nicht bei einer Frau, oder um ihn vor irgendeiner Gefahr zu warnen, die sie in ihrem Horoskop gesehen haben wollte...» (Er schlägt einen Anteil nehmenden Ton an:) «In den Sternen!... Der arme Fridelance: dreißig Minuten, nachdem er das Telefongespräch beendet hat, klingelt es erneut, und es ist jedes Mal wieder seine Régine! Ah, ja, ja... Ich höre den armen Ambroise noch: ‹Ja, liebste Ginette! Aber ja, mach dir keine Sorgen! Ich kann jetzt nicht reden, Monsieur Demare wartet, wir haben zu tun... Je ungestörter wir arbeiten können, desto früher bin ich wieder zu Hause, mein Schatz... Bussi!› Klar, er hätte ebenso gut mit einer Wand reden können! Und Fridelance wagte nicht, sein Handy auszuschalten, dann wäre es noch schlimmer gewesen: was hätte er sich nachher anhören müssen, der Unglückliche, wenn er nach Hause kam...»
Der Verleger lehnt sich zurück, nimmt noch einen Schluck und setzt das Glas dann heftig ab. Der Löffel klirrte in dem leeren Glas.
«Scheißvirus! Und es juckt überall, an den Beinen, den Armen, den Händen... Sie wissen nicht, was es ist!... Alles, was ihnen einfällt, ist, mir Antibiotika und Entzündungshemmer zu verschreiben, ah! Die Rezepte können Sie vergessen, sag ich Ihnen... Eigentlich haben die Ärzte sich seit Molière nicht verändert. Sie sind alle wie Diafoirus, Nieten...» (Husten.) «Außerdem höre ich seltsame Laute in meinem Kopf... wie afrikanische Trommeln, und Schreie... Diese Blödmänner von Ärzten sagen, das sei das Alter. Das Alter! So ein Quatsch... Nun ja, selbst wenn Fridelance als Künstler ein Versager ist, seine Illustrationen sind gut, sehr gut. Allererste Sahne! Hier, sehen Sie die Bücher an, die ich in meiner Reihe ‹Grauen› seit Beginn der achtziger Jahre herausgegeben habe... Die Venus des Verbrechens... Das Fleisch des Teufels... Requiem für einen Zombie... Das Tier ohne Gesicht... Der unheimliche Landsitz... Das Ungeheuer aus dem Nichts... Ambroise Fridelance hat eine verdammt gute Hand mit dem Pinsel! Sehen Sie zum Beispiel die Spinne hier, als würden ihre Beine sich bewegen, nicht wahr, als würde sie Ihnen ins Gesicht springen! Und da, die Fresse von dem SS-Vampir... Schaurig! Und die Kreatur aus dem Sumpf, die jagt einem echt Angst ein, oder?... Ah, Ihnen vielleicht nicht. Aber für die Populärausgaben ist das Coverdesign ausschlaggebend, verstehen Sie!... Entscheidend!... Eine gute Illustration kann zehntausend mehr verkaufte Exemplare bedeuten!» (Husten.) «Als ich in dem Fach angefangen habe, war mein größter Konkurrent ‹Fleuve Noire›, dessen Erfolg großenteils auf Spionageromanen beruhte, die während des Kalten Krieges wieder in Mode gekommen waren... Dann habe ich gesehen, wie der Verleger Ditis einen Bombenerfolg hatte, als er seine Lagerbestände günstig bei ‹Prisunic› verkauft hat... Seine Reihen ‹La Chouette›, ‹Détective-Club› etc. Da habe ich diese grundlegende Wahrheit begriffen: die weite Verbreitung richtet sich an die breite Masse. Um sich mit diesen Reihen wie ‹Angoisse› bei ‹Fleuve Noire› messen zu können, musste ich die Techniken des Rewriting aufnehmen, meine eigenen französischen Autoren finden – gefügige und schnelle Autoren – , und vor allem einen ebenso kompetenten und produktiven Illustrator wie Gourdon einer war, der Künstler, der sämtliche Covers von ‹Fleuve› entworfen hat... Da habe ich Ambroise Fridelance kennengelernt... ganz jung damals, noch nicht verheiratet... Er wusste ja gar nicht, was für ein Glück er hatte...»
Das Lachen erstirbt in einem besonders grässlichen Hustenanfall.
Polizeioffizier Koster rutscht ein wenig auf seinem Stuhl vor.
«Monsieur Demare... Seiner Frau zufolge hat Fridelance Sie letzten Monat zwei Mal in ihrem Verlagshaus in der Rue Mazarine aufgesucht. Das erste Mal am Dienstag, dem 24. September...»
Der Verleger verzieht das Gesicht.
«Warten Sie... Wo hab ich denn nur meinen Kalender... September... Ja, genau. Ich habe es hier notiert... Wegen der Illustration des Titels Tamtam der Angst, das habe ich darunter noch angefügt, sehen Sie.»
«Ich notiere mir das... man weiß ja nie, nicht wahr. Sie sagten, das...?»
«Tamtam der Angst. Das ist ungewöhnlich. Es ist mit der Post gekommen...»
Der Polizist zieht fragend eine Augenbraue hoch.
«Kommt das so selten vor, dass ein Schriftsteller Ihnen ein Manuskript per Post schickt?»
Demare sieht ihn lächelnd an.
«Oh neiiin!... Wir bekommen zwei bis fünf am Tag... Selten ist, dass ich eins veröffentliche.» (Er gluckst.) «Meistens wandern sie direkt in den Papierkorb.» (Husten, dann Lachen.) «Mit etwas Übung braucht man nur die ersten beiden Absätze zu überfliegen. Taugen sie nichts, ab in den Papierkorb! ‹Der Demare Verlag übernimmt keine Verantwortung für unerbetene Manuskripte etcetera...›» (Husten.) «Ich habe bereits meinen Stall von Autoren, wir sind vollständig, wir beauftragen niemanden mehr. Aber jetzt, wo ich darüber nachdenke... An jenem Tag ist Ambroise aus einem anderen Grund zu mir gekommen...»
Das Tamtam der Angst
«KrimiZeit-Bestenliste März 2011 (Platz 6):
Paris/Lille: Fridelance muss es bringen. Die nörgelnde Fau will Geld. Mit der Illustration von Gruselschinken nicht zu schaffen. Auch der Versuch, einen seltenen Hocker zu versteigern, endet zwischen den Stühlen. Fridelance in der Klemme. Die Tamtams! Das Grauen! Bös, schnell, witzig: 100 Seiten und ein Knall.»
arte
«Ambroise Fridelance ist ein Verlierer vor dem Herrn. Von seinem Verleger wird der Endvierziger, der Cover von Horror- und Vampirromanen zeichnet, schamlos ausgenutzt. Seine Frau tyrannisiert ihn bis aufs Blut. Sein Alltag ist ein Desaster, sein Leben ein einziges Abseits. Und als wäre das alles nicht genug, steht er am Fuße eines Berges unbezahler Rechnungen kurz vor der Pleite.
Gut also, dass Fridelance eines Tages herausfindet, dass ein Hocker, den seine Familie aus Mali, wo er aufwuchs mitbrachte, mindestens 100000 Euro wert ist. Das Möbelstück stammt von einem berühmten Designer, es ist weltweit das einzig erhaltene Exemplar. Weniger gut, dass der Händler, der den Verkauf über die Bühne bringen soll, Ambroise zusammen mit einer alten Kommilitonin des Zeichners schamlos betrügt. Der Zeichner ist am Ende seines Lateins, er steht kurz vor dem Explodieren, als er das Manuskript eines jungen afrikanischen Einwanderers illustrieren soll. Ein Manuskript, das echte Voudou- und Marabout-Rezepturen vom Onkel des Afrikaners enthält. Und damit beginnt für alle, die Ambroixe Fridelance verarscht hatten, der Ärger ihres Lebens...
Wie der Zeichner, Fotograf und Schriftsteller Romain Slocombe, geboren 1953, diese Geschichte erzählt, das ist schon sehr genial: Einerseits verfolgt er die Ermittlungen eines Kommissars Koster, der den merkwürdigen Ereignissen nachspürt; andererseits switcht er auf elegante Weise immer wieder zurück unmittelbar zu diesen Geschehnissen; tatsächlich verbinden sich die Ebenen irgendwann, so dass die Rahmenhandlung zum Teil des Ganzen wird.
So kreativ mit den Erzähltechniken umzugehen und dadurch schon strukturell für Erstaunen und Überraschung zu sorgen, das ist typisch für den französischen Noir, den Romains Slocombes Geschichte hervorragend repräsentiert, weil sie auch sonst alle Ingredienzen birgt, die ein klasse Krimi aus Frankreich haben muss: Viel Inhalt auf knappem Raum, zwingende gesellschaftliche Bezüge, Ironie und Witz, scharf konturierte Charaktere, Intelligenz und Tempo. "Das Tamtam der Angst" ist ein Ereignis. Klein, aber fein - und mit garantiertem Lesevergnügen.»
Ulrich Noller, Buchtipp, WDR