Tanzt! Singt! Morgen wird es schlechter

Topin, Tito

In naher Zukunft wurde Frankreich zu einem Gottesstaat, weil – und diese unglaubwürdige Prämisse muss man einfach akzeptieren – die monotheistischen Religionen sich gegen die Ungläubigen zusammenschlossen. Zuerst gab es Umerziehungslager. Aber als auch in ihnen nicht alle Gottlosen bekehrt werden konnten, begannen die religiösen Regierungen die Atheisten zu verfolgen. Inzwischen gibt es nur noch wenige Zufluchtsorte.

Der Journalist Boris hat es sich mit den neuen Machthabern gründlich verscherzt, weil er in einer Reportage einen Bischof der Pädophilie beschuldigt hat. Auf seiner Flucht von Frankreich nach Spanien nimmt er, zur Tarnung, die schwangere Anissa mit.

Später stoßen noch seine Ex-Freundin Soledad, bei der sie kurz untertauchen konnten, und der alte Bankräuber Pablo, dessen Auto sie klauen, zu ihnen.

Dieses Quartett wird von der Polizistin Gladys Le Querrec, einer anderen Ex-Freundin von Boris, und Abdelmalec Chaambi, einem von den religiösen Oberhäuptern beauftragten Killer, nach Lissabon verfolgt.

Mit Fluchtgeschichten hat Tito Topin seine Erfahrung. Er wurde 1932 in Casablanca geboren, emigrierte nach Brasilien, kehrte 1962 zurück und zog 1966 nach Paris. Dort arbeitete er als Illustrator und Autor. Sein erster Kriminalroman erschien 1982 bei Gallimard in der Série Noire. Damit dürfte schon klar sein, wo seine literarischen Vorbilder zu suchen sind. Er schrieb auch Drehbücher, vor allem für TV-Filme und Serien, und er erfand die TV-Serie „Navarro“ (Kommissar Navarro). In Frankreich ein langlebiger Hit. In Deutschland wurden in den Neunzigern einige Folgen von ProSieben gezeigt und von kabel eins wiederholt.

Er schrieb auch den Noir „Exodus aus Libyen“ (Libyan Exodus, 2013) über eine während des Bürgerkriegs auf ihrer Flucht aus dem nordafrikanischen Staat zusammengewürfelte Gruppe.

Sein neuester Roman „Tanzt! Singt! Morgen wird es schlechter“ variiert auf den ersten Blick diese Geschichte. Mit einem anderen Ziel der Flucht. Seine Figuren stammen aus der gut etablierten Welt des Polar, der französischen Version des US-amerikanischen Hardboiled-Krimis und des Film Noir. Sie wirken daher auch etwas aus der Zeit gefallen. Das ist nämlich näher bei Ross Thomas und Jean-Patrick Manchette, als bei der Gegenwart.

Und die Idee eines katholischen Gottesstaates ist angesichts der rapide schwindenden Mitgliederzahlen der christlichen Kirchen doch etwas utopisch.

Das gesagt, ist „Tanzt! Sing!“ ein flott zu lesender Polar, der wohlige Erinnerungen an die Zeiten weckt, als harte Männer böse Dinge taten, lässig noch bösere Bösewichter besiegten und selbstverständlich jede Frau bekamen. Es sind die flott geschriebenen pulpigen Abenteuergeschichten der sechziger, siebziger und auch noch achtziger Jahre, die man heute noch vereinzelt in Antiquariaten findet und die eine wunderschön-entspannte Retro-Lektüre sind.

Außerdem ist Tito Topin inzwischen in dem Alter, in dem von einem Künstler nicht mehr jugendliche Revolten, sondern ein gesittetes Alterswerk erwartet wird. Ein Buch halt, das noch einmal alle Themen der vorherigen Werke quasi archivarisch bündelt, während der Held an Altersgebrechen leidet und sich an seine Vergangenheit erinnert. So ein sentimentaler Schmonz interessiert Topin nicht. Sein Roman ist wie ein Punksong; auch von der Länge. Sein Held ist Mitte Dreißig. Sein Kampfgeist ist ungebrochen. Denn sein Leben liegt noch vor ihm. Und das will er nicht in einem Gottesstaat verbringen.

Axel Bussmer, 2019/05

 

Der in Marokko aufgewachsene französische Autor erzählt in seinem Thriller von einem theokratisch regierten Frankreich, in dem Menschen mit kirchenkritischer Einstellung wie die Hauptfigur Boris verfolgt werden. Boris flieht zu seiner Bekannten Sol und gabelt unterwegs die schwangere Anissa auf. Nach einem Mord entführen sie gemeinsam mit Bankräuber Pablo ein Auto. Die vier fliehen in eine Hafenstadt in der Hoffnung, von dort ausreisen zu können. Doch sie sitzen unter erbärmlichen Bedingungen fest, zumal ein von den theokratischen Behörden auf Boris angesetzter Killer Pablo und Anissa ermordet. Zusammen mit Anissas neu geborenem Baby entkommen Boris und Sol, doch die fundamentalistische Gefahr ist nicht gebannt. Der spannende Thriller erzählt eine Gegengeschichte zur angeblich drohenden Islamisierung Europas. Nur allmählich wird klar, weshalb Boris verfolgt wird und wie die christlich-fundamentalistische Regierung Frankreich in einen repressiven Überwachungsstaat verwandelt. Insgesamt ein lesenswerter Thriller, der nicht nur bei Série-Noire-Fans ankommen sollte.

Peter Bräunlein, 2019/03



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