Der Tequila-Effekt

Diez, Rolo

 

 

1

Mit seinem kurzen Kleid und seinen Zöpfen, seinen kleinen runden Brüsten und mit soviel an Unschuld wie Sinnlichkeit in seinen von Seidenpapier umhüllten fünfzig Kilo, sieht Schneewittchen aus wie eine Achtzehnjährige, die als Fünfzehnjährige verkleidet ist. Die Zwerge sind nicht zu siebt, sondern zu viert, und es sind auch keine Zwerge, sondern kleine Männer, ihre verkommenen und Angst einflößenden Gesichter halb verborgen unter falschen weißen Bärten. Die Szene zeigt sie beim Essen auf einer Waldlichtung. Einer der Zwerge schenkt Wein ein. Bevor er Schneewittchen einschenkt, tauscht er die Flasche aus, ohne daß es etwas merkt. Die vier Männer machen obszöne Gesten und zwinkern einander zu. Gespannt und lüstern schauen sie der Kindfrau zu, wie sie trinkt. Als Schneewittchen seinen Becher geleert hat, fällt es in eine mehr oder weniger katatonische Trance. Zwei Zwerge holen unter dem Tisch eine Matratze hervor. Darauf legen sie Schneewittchen, dann ziehen alle vier es gemeinsam aus.

 

2

Um acht hat mich Lourdes mit einem Bier und einem miesgrämigen Gesicht geweckt, das ich mir lieber nicht antun wollte. Ich drehte mich zur Seite, bis ich es schaffte, mich aufzurichten und den ersten Schluck zu trinken.
«Ich bin um vier ins Bett», sagte ich zu ihr. «Dieses Caguama ist lauwarm. Ich will mein Bier nicht gefroren, aber ich mag es kühl. Das hab ich dir schon tausendmal gesagt.»
Lourdes ist der einzige Mensch auf der Welt, der mir vier Vorträge gleichzeitig halten kann:
«Du hast gesagt, daß du um acht weg mußt; wir haben das Schulgeld noch immer nicht bezahlt; es ist nichts zum Essen im Haus; wofür hast du eigentlich eine Familie, wenn du nicht für sie sorgst.»
Sie ist zierlich und leicht erregbar, und wenn sie wütend wird, schwindet ihre ganze Schönheit dahin. Ich setzte zu dem vagen Versuch einer Erwiderung an, der in meiner Schlaftrunkenheit unterging.
«Stell das Bier ins Gefrierfach, und weck mich in einer Viertelstunde.»
Lourdes ging protestierend weg, ich hörte ihr aber schon nicht mehr zu. Wir Polizisten können im Stehen schlafen, wenn wir Wache halten oder einen Typ beschatten, der uns mit dem Geräusch seiner Schritte aufweckt, wenn er sich davonschleichen will.  

Eine Stunde später war ich auf der Straße. Die Sonne stach mir in die Augen, und die Abgase der Avenida Revolución drohten, mich zu ersticken.
Ich machte in einer meiner Stamm-Taquería halt und nahm ein schnelles Früstück zu mir. Scharf gewürzte Pansensuppe – ein großartiges Mittel der Volksmedizin, um das Bild zu verbessern, das sich einem verkaterten Menschen von der Welt, der Conditio humana und den Montagmorgen aufdrängt, und um seine Einsicht in die Notwendigkeit zu fördern, ins Büro zu gehen –, Filetspitzen und eine Menge Kaffee. Luis, der Besitzer des Lokals, wollte wissen, was aktuell 38er Revolver und 9-mm-Pistolen kosten.
«Ich habe einen Interessenten», sagte er und zwinkerte mir mit einem Auge zu. «Ich könnte fünf oder sechs loswerden, wenn auch für mich was abfällt.»
«Mal sehn», antwortete ich. «Ich sag dir morgen Bescheid.»
Ich wollte mit dem Polizeioffizier Amaya reden, der billige Schießeisen besorgen kann. Bei einem Hunderter Gewinn pro Stück und Geschäftspartner käme eine halbe Million alter Pesos zusammen, und man könnte die Waffen immer noch zu einem vernünftigen Preis anbieten. Das war zwar kein Supergeschäft, würde aber helfen, aus den roten Zahlen zu kommen, die hartnäckig dazu neigen, sich alle vierzehn Tage zu kumulieren.
Colorado Rosenthal war nicht in der Wechselstube: Geschäftsfrühstück. Auch der Briefumschlag für meinen Kommandanten war nicht da. Dieser Scheiß-Colorado! Mein Chef würde über diesen Zahlungsverzug gar nicht glücklich sein. Ich hatte in seinem Auftrag dreißigtausend erstklassige kolumbianische Dollarblüten dagelassen, die sogar im Weißen Haus durchgegangen wären. Colorado sollte heute morgen zahlen, das wußte der genau, aber er leistete sich den Luxus, mit dem Geld eines Polizisten zu spekulieren... Als ob wir ihm nicht bei der erstbesten Gelegenheit sein Geschäft auseinandernehmen könnten!
«Wann kommt er?» fragte ich.
«Er müßte eigentlich schon da sein», antwortete seine Sekretärin.
Eine Nymphe, eine Puppe. Sie war nicht schlecht, aber auch wiederum nicht so gut, wie sie sich einbildete.
Das Büro, in dem sie mich empfing, strotzte nur so vor Fensterfronten, Teppichen, Pflanzen, Bildern und Auszeichnungen an den Wänden. Ich knöpfte mein Sakko auf und setzte mich so hin, daß diese Wichtigtuerin den Fettfleck auf meiner Hose nicht sehen konnte. Früher konnte ich mich mit zugeknöpftem Jackett hinsetzen, in der letzten Zeit scheint mein Magen jedoch willens, nachträglich alle Tacos und Biere zu verarbeiten, die ich in den letzten vier Jahrzehnten geschluckt habe.
«Hat er sich gemeldet?» fragte ich mit Polizistenmiene. Ich kenne diese Püppchen. Wenn man sich anmerken läßt, daß man für ihre Reize empfänglich ist, lassen sie ihre Verführungskünste spielen. Nicht etwa, weil die Nymphe sich auch nur einen Deut für einen Typen wie mich interessieren würde, sondern weil es die Form ist, in der sie ihre Macht ausüben. Mit dem, was sie haben: Fleisch und Glamour.
«Nein», klang es zwischen dem Geklimper ihrer Ringe und Armbänder hervor. «Er kommt aber gewöhnlich um diese Uhrzeit.»
«Ich muß dringend mit ihm sprechen.» Ich streckte ihr meine Marke hin: «Er soll mich bitte anrufen, sobald er kommt.»
«Ja, Herr Hernández», sagte sie, auf meine Plakette blickend.
Ich knöpfte mein Jackett zu und stand auf. Ich beugte mich zu der Nymphe hinunter, um ihr die Hand zu geben, und sah mich einem aufreizenden Dekolleté gegenüber. Sie bemerkte es und lächelte. 

Als ich im Büro eintraf, wurde gerade Kaffee ausgeschenkt. Der Kommandant frühstückte im Sheraton mit einem Richter und einem Abgeordneten. Getreu seiner Überzeugung, daß die Public Relations von einem gut gefüllten Magen und einer Agenda mit den richtigen Adressen abhängen, baut der Chef aufs Frühstück. Er investiert die Vormittage in Zukunftsaussichten und versucht, nicht auf die Falschen zu setzen.
Maribel brachte mir eine Tasse Kaffee. Sie tätschelte meine Hand und verlangte den Beitrag für die Belegschaftskasse: fünfzigtausend alte Pesos.
«Du schuldest schon zwei Beiträge», ihre Stimme und ihr Blick waren so süßlich wie falsch.
Maribel ist eine heißblütige Frau aus Veracruz im Krieg gegen die Zeit. Sie hat sorgfältig gefärbtes und friseurzerzaustes Haar und schöne Beine, fast erwachsene Kinder, die sie verborgen hält, einen Bäcker zum Ehemann und ein hurenhaftes Naturell. Da sie die Sekretärin des Chefs ist, erlaubt sie sich, die gesamte männliche Bürobelegschaft einzuschüchtern, um sie aufs Kreuz zu legen – oder versucht es zumindest. Jedesmal, wenn ich eine feministische Rede über sexuelle Belästigung von Frauen am Arbeitsplatz höre, muß ich an sie denken.
Maribel setzte ihr tropisches Lächeln auf und schob die Zungenspitze aus dem Mund: ein Fellatioversprechen, das in meinem Bauch ein Kribbeln verursachte.
In meiner Hosentasche verlor sich ein einsamer 50-Peso-Schein. Ich mußte mit ihm einen langen Tag überstehen, mich ernähren und noch zehn gleiche Scheinchen besorgen, um die Nerven von Lourdes zu beruhigen. Ganz zu schweigen von Gloria, bei der ich seit vier Tagen nicht mehr gewesen bin. Sie ist zwar geduldig und hat Verständnis für das Delikate von gewissen Situationen, aber auch sie hat für die Kinder zu sorgen und hat die gleichen Ausgaben am Hals wie jede x-beliebige Familie. Wenn ich es ihr nicht verboten hätte, würde sie bestimmt jetzt schon am Hörer hängen.
Maribels Knie preßten sich an meine. Laura und die Putzfrau lächelten spöttisch. Ich bewegte mich nicht.
«Kannst du nicht bis morgen warten, dann bezahl ich dir die Beiträge», sagte ich.
«Du Armer! Ich sehe, du hast Probleme.» Wenn sie zärtlich werden, haben Taranteln den gleichen Blick wie sie. «Warum gehen wir nicht was trinken, und du erzählst mir, was los ist?»
«Der Chef kann jeden Moment kommen», erwiderte ich ohne rechte Überzeugung.
«Wir haben eine Stunde Zeit», säuselte Maribel mit der ihr eigenen Selbstverständlichkeit, sich in einem mexikanischen Polizeibüro so zu verhalten, als wäre sie Marlene Dietrich und in einem Kabarett in Kairo. Ihr Vortrag wurde von einem Druck ihres Knies gegen meinen linken Oberschenkel begleitet, so daß ich das Bein kräftig auf den Boden stemmen mußte, damit es nicht wegrutschte.
Da sich das ganze Büro auf meine Kosten amüsierte, und in Erwägung, daß ein Herr eine Dame nicht zurückweisen darf, vor allem, wenn er nicht will, daß man ihn für schwul hält, habe ich beschlossen, daß es günstiger für mich ist, in einem Hotel auf Kosten der Dame eine morgendliche Nummer zu schieben, als die Beiträge zu bezahlen und mein letztes Kapital zu verlieren.
Im Aufzug biß mich Maribel mit ihrem angeschmierten Mund, was ich, so gut ich konnte, erwiderte.
«Du Wilder», stieß sie gelassen hervor.
«Ich will keine Spuren», stellte ich klar. Das Gesicht von Lourdes war vor mir aufgetaucht, mit ihrer krankhaften Eifersucht und ihrer Manie, meinen Hals und meine Schultern nach Spuren von Nägeln und Zähnen anderer Frauen abzusuchen. Lourdes praktiziert mit viel Geschick ihre hauskriminologischen Talente, und immer habe ich die Rolle des Angeklagten. Wir hatten deshalb schon oft den größten Krach, und es ist nicht zu glauben, aber ich kann ihr diese Manie einfach nicht austreiben.
Auf dem Weg ins Hotel, im Wagen meiner Gastgeberin, beschlich mich die Angst, daß sich mein wichtigstes Werkzeug nicht aufrichtet; daß es sich zwar aufrichtet, aber mitten in der Vorstellung wieder abschlafft; oder daß ich eine vorzeitige Ejakulation haben könnte, was mir ab und zu passiert, vor allem wenn ich es mit einem neuen Körper zu tun habe, der sich besonders gierig an meinem zu schaffen macht. Auch wenn ich Maribel kannte, hatte ich trotzdem noch Angst, daß ich einen zu Kleinen hatte. Ich bin vierzig Jahre alt, jeden Tag sehe ich mich nackt unter der Dusche. Ich weiß aber immer noch nicht, ob ich eher ein Prachtstück habe, das jeder Frau imponiert, oder ob es ein mickeriges Böhnchen ist, das kümmerlichste der Welt, das kaum eine auf Diät gesetzte Katze ernähren kann.
Im Hotel bestellte ich Rum und Mineralwasser gegen die Angst und den Durst; Gefühle, die gewöhnlich in diesen Hotelzimmern lauern. Der Krawall aus dem Nebenzimmer war recht anregend, als ob eine Jungfrau auf einem aztekischen Altar geopfert würde. Offenkundig standen die Hotelbetten an der gleichen Wand, ein schöner Zug, halb hippie, halb kommunistisch, der mir zunächst sehr schlau vorkam. Dann aber, als Maribel ihr Interesse an meiner Wenigkeit auf die Wand verlagerte, an der sie wie eine Klette hing, erschien es mir eher schlecht organisiert. Nackt und zusammengeschrumpft wie ein Akkordeon steckte ich mir eine Zigarette an. Gebrüll und Geröchle begleiteten meinen Weg ins Bad, in dem ich unter Mühen urinierte und ein Glas fand. Aus Berufkrankheit nahm ich es in die Hand, ging ins Zimmer zurück, drückte es mit dem Glasboden an der lautesten Stelle an die Wand und forderte Maribel mit einer entsprechenden Geste auf, herzukommen und ihr Ohr anzulegen. Ihrer wachsenden Verzückung nach zu urteilen, war das Ergebnis nicht schlecht. Als ich fertiggeraucht und sie darauf hingewiesen hatte, daß ein nackter Mann sich nicht die Hände in die Hosentaschen stecken kann, fing ich an, sie auszuziehen. Fernab vom Elend in Büro und Ehe ließ sie mich machen. Ich machte ihr die Bluse und den BH auf und biß ihr dabei immer wieder leicht in den Hals. Um sie auszuziehen, mußte ich mit einer Hand das Glas an die Wand halten, mit der anderen streichelte ich ihre Achseln, berührte leicht ihre Brustwarzen mit meinen Fingerspitzen, knabberte an den Schulterblättern, berührte mit den Lippen ihre Hals- und Rückenwirbel, verhalf den Kleidungsstücken zu ihrer lässigen Reise zum Boden. Den Rock zog ich ihr über den Kopf. Ich hielt mich an der Hüfte auf, nahm ihren Hintern mit beiden Händen und begann ihre Unterhose herunterzuziehen. Maribel seufzte, schnurrte, ohne ihr Ohr vom Glas zu nehmen. Ich ließ die Unterhose bis zu den Knöcheln fallen. Maribel hob einen – roten – Schuh hoch und machte ihre Beine frei. In diesem Moment begriff ich, daß die Götter mich dafür belohnen wollten, daß ich ein so guter Polizist war: Ich würde mit einer Frau schlafen, deren Kopf mit einem Rock bedeckt war; ich würde eine Frau vögeln, die einem anderen Paar beim Vögeln zuhörte; ich würde mit einer Frau bumsen, die ihre Strümpfe und Stöckelschuhe anhatte. Drei sexuelle Phantasien in einem einzigen Akt. Mein Schwanz richtete sich auf wie ein Akrobat. Er war mir noch nie so groß und potent vorgekommen. Ich führte ihn zwischen die Hinterbacken der Frau und wollte von hinten in sie eindringen. Maribel wandte sich zu mir um, warf mir ein entrücktes Lächeln zu und säuselte:
«Mein Rücken juckt fürchterlich. Sei so gut und kratz mich...»
Ich kratzte ihr den Rücken, sieben Minuten lang, und keine Macht auf Erden hätte mich davon überzeugen können, daß ich jemals wieder einen Steifen bekommen würde.
Als wir danach zum Geseufze und anschließend zum Schweigen übergingen, wollte sie alles. Das Resultat war jämmerlich. Nur mit Mühe brachte ich sie dazu, das Hotel und die Getränke zu bezahlen. Eigentlich hatte ich sie um ein kleines Darlehen bitten wollen, doch das schien mir nun nicht mehr ratsam. 

Im Büro wartete der Chef mit der Wir-müssen-mal-einiges-klarstellen-Miene. Wie es seine Art ist, ließ er, damit ich in seiner Schuld blieb, sowohl mein spätes Erscheinen als auch meine Flucht mit seiner Sekretärin unerwähnt. Wahrscheinlich war es ihm egal, vielleicht war er mir sogar dankbar dafür, denn wenn kein anderer aufgetaucht wäre, hätte er möglicherweise selbst herhalten müssen. Trotzdem: er ist der Chef und muß seine Autorität unter Beweis stellen. Schnell kam er auf seine eigenen Interessen zu sprechen: Colorado hatte sich immer noch nicht gemeldet. Auf seinen Tränensäcken kamen purpurfarbene Fäden zum Vorschein, als er mir den wohlbekannten Blick zuwarf: den, der mich für jedes Mißgeschick verantwortlich macht. Und obwohl meine Aufgabe nur darin bestand, pünktlich bei einem Typen vorstellig zu werden, der nicht da war, ging es schließlich um dreißigtausend Dollar, weshalb schwerlich eine vernünftige Reaktion vom Kommandanten zu erwarten war.
«Ich rufe ihn auf der Stelle an», ich sagte die von Offizier Carlos Hernández erwarteten Worte. «Und wehe, wenn er nicht mit den Geldscheinen in der Hand auftaucht!»
Die Falten im Gesicht des Chefs glätteten sich ein wenig, und er hob zu einem Vortrag über die Notwendigkeit an, energisch gegen diese Händler vorzugehen, die nichts anderes im Sinn hätten, als Dollar aus dem Land zu schleusen, und denen Mexiko vollkommen egal sei, da ihre einzige Heimat das Geld sei. Um sich dann im gleichen Atemzug über die Person Colorado auszulassen, den er, nach seinen Äußerungen zu schließen, so wenig schätzte, daß es nicht leicht zu begreifen war, warum er ihm seine Dollar anvertraut hatte.
Nachdem ich ermahnt worden war, mit der Härte zu verfahren, die die Männer der OB auszeichnete, verließ ich sein Büro. «Beeil dich, denn gerade wurde ein Gringo bei einem Krach unter Schwulen umgebracht, und das ist dein Fall», waren die letzten Worte des Chefs. 

Bei unseren Fällen handelte es sich meistens um Gringos oder um Angelegenheiten, in die Persönlichkeiten verwickelt waren, auf die nicht der Hauch eines Verdachts fallen durfte. Also Fälle, die man nicht in den Händen der Analphabeten in Uniform lassen konnte.
Dafür sind wir da von den OB, um mit einem scharfen Seziermesser gewisse Geschwüre am Sozialkörper wegzuschneiden und sich angemessen um Probleme zu kümmern, die in Händen von unerfahrenen Elementen unkontrollierbare negative Folgen nach sich ziehen könnten.
Und obwohl unsere Kritiker – die nie fehlen, denn es gibt mehr Neider als gehörnte Ehemänner in diesem Land – behaupten, unsere Richtlinien seien so lächerlich, als wären sie vom Komiker Cantinflas verfaßt worden, wissen wir, wovon wir reden.
Als das Büro für Operative Beziehungen (OB) gebildet wurde, schlug die alte Garde die Hände über dem Kopf zusammen: «Operationen müssen geheim bleiben! Nur Abgeordnete und Unterstaatssekretäre können auf die glorreiche Idee kommen, die Öffentlichkeit an Operationen teilhaben zu lassen.»
Privat äußerten sie noch härtere Ansichten.
Achtzehn Jahre danach halten sie uns weiterhin für eine Bande von opportunistischen Möchtegernpolitikern und Pseudointellektuellen, und obwohl unser Budget geringer ist als jedes andere, wird uns kein Polizist jemals verzeihen, daß wir einen Brief nicht nur mit einem einfachen Kreuz unterschreiben.
Als ich hinausging, würdigte mich Maribel keines Blickes. 

Ich rief Lourdes von einer Telefonzelle aus an und mußte feststellen, daß sie so übellaunig wie unverständig war. Um sie zu beruhigen, behauptete ich, daß ich das Geld in meiner Tasche und einen Stapel Arbeit auf meinem Schreibtisch hätte. Ich schlug ihr vor, im Laden etwas anschreiben zu lassen, und versicherte ihr, daß ich ihr das Geld noch am gleichen Abend geben würde. Sie fragte mich dreimal, ob ich es wirklich hätte, ob ich sie nicht hinters Licht führen wollte und ob ich ihr nicht wieder Märchen erzählen würde. Lourdes’ Mißtrauen kennt einfach keine Grenzen. Ich beruhigte sie, so gut es ging, wurde etwas zornig und legte den Hörer auf.
Auf der Suche nach freundlicheren Tönen wählte ich die Nummer von Gloria. Als sie meine Stimme hörte, fing sie an zu weinen. Sie warf mir vor, grausam zu sein, sie verlassen zu haben und ihre Kinder vor Hunger sterben zu lassen. Obwohl ich ihre weinerliche Veranlagung kenne, treffen mich solche Beschimpfungen hart. Ich kann mich noch an Zeiten erinnern, wo sie immer ein Lächeln für mich bereithielt, mit weniger als nichts zufrieden und das stille Wasser war, in dem ich Ruhe fand, wenn meine Frau gerade mal wieder ihre Fähigkeiten als Harpyie unter Beweis stellte. Ohne sie zu kennen, war es Gloria in fünf Jahren gelungen, Lourdes wie einer Schwester zu gleichen. Ich schwor, daß ich sie noch an diesem Abend besuchen würde, und versprach, Geld und Spielzeug für die Kinder mitzubringen.
Colorado war immer noch nicht aufgetaucht. Die Nymphe informierte mich mit melodiöser Stimme: «Herr Rosenthal mußte kurzfristig nach Guanajuato fliegen, er hat jedoch eine Nachricht für Sie hinterlassen: Es tue ihm sehr leid, und er bittet Sie, die Verzögerung zu entschuldigen; er hat das, was sie suchen, und morgen früh könne das Problem gelöst werden.»

 

 



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