Faschismustheorien
Die Diskussion um den Faschismusbegriff hat in Deutschland einen schweren Stand. Der Begriff gilt noch immer als ideologisch belastet und die Debatten der 1960er und ´70er Jahre haben Spuren hinterlassen, die viele jüngere WissenschaftlerInnen davor zurückschrecken lassen, diesen Fährten zu folgen.
Der im Februar 2014 verstorbene Marburger Politikwissenschaftler Reinhard Kühnl hatte für die marxistisch orientierte Faschismusforschung eine herausragende Bedeutung. Neben seinen Klassikern "Formen bürgerlicher Herrschaft" und Der deutsche Faschismus in Quellen und Dokumenten" war es vor allem das jetzt vom Distel Verlag neu aufgelegte Buch "Faschismustheorien", das seine Bedeutung begründete. Erstveröffentlicht 1979 bietet der Band eine kommentierte Übersicht der theoretischen Hauptströmungen der Interpretationen zum Faschismus, wie sie sich seit den 1920er Jahren herausgebildet haben.
Kühnl nahm sowohl die verschiedenen Ausprägungen bürgerlicher und konservativer Herleitungen des Faschismus in den Blick, als auch die marxistisch geprägte Diskussion. Dabei ging es ihm keineswegs darum, einen bestimmten Ansatz als alleinigen Schlüssel zu einer Theorie des Faschismus herauszuarbeiten. Wiewohl er ein Vertreter des bündnistheoretischen Ansatzes war, ging es Kühnl in dem Band neben der Auseinandersetzung mit affirmativen und reaktionären Theorieansätzen (Führertheorie, Totalitarismustheorie und andere) um die theoretische Erweiterung marxistischer Interpretationen. Sozialpsychologische Ansätze und Arbeiten zur Massenbasis des Faschismus interessierten ihn besonders. Die erneute Lektüre seiner Texte zeigt, dass es Kühnl unter marxistischen Vorzeichen um eine Erweiterung des erstarrten Faschismusverständnisses ging, wie es im Anschluss an Georgi Dimitrow in den realsozialistischenStaaten vorherrschend war. Mit seinem Ansatz der Faschismusdeutung betonte Kühnl die objektiv herrschaftsstabilisierende Funktion des Faschismus in der Krise bürgerlich-kapitalistischer Gesellschaften nach dem Ersten Weltkrieg. Der Faschismus wurde von ihm jedoch gerade nicht als Marionette der herrschenden Klasse verharmlost. Kühnl arbeitete die eigenständige Rolle des Faschismus heraus.
Die Neuauflage ermöglicht einen Einblick in die damaligen produktiven Faschismusdiskussionen und ist als Hintergrund heutiger Debatten, wie sie im angelsächsischen Raum geführt werden, äußert instruktiv.
Gerd Wiegel in: der rechte rand 151/2014
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